Editorial: Was ist wirklich los mit dem Glasfaserausbau in Deutschland?

Editorial: Was ist wirklich los mit dem Glasfaserausbau in Deutschland?

Steht der Glasfaserausbau wirklich vor dem Kollaps, wie von Medien vereinzelt berichtet wird? Warnen die kommunalen Spitzenverbände zu Recht vor einem Rückzug der Investoren und einem massiven Rückgang neuer Bauprojekte? Kritisiert die Opposition die Bundesregierung zu Unrecht wegen ihrer Planlosigkeit bei der Umsetzung der eigenen Gigabitstrategie? Und ist der strategische Überbau der Telekom vielleicht ja wirklich gesunder Infrastrukturwettbewerb, von dem die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes profitieren?

In der Tat steht der Glasfaserausbau vor immer größeren Herausforderungen, die aber nicht etwa nur durch deutlich gestiegene Finanzierungs- und Baukosten bestimmt werden. Zweifelsohne verteuert sich hierdurch der Ausbau und begrenzt die Möglichkeiten des eigenwirtschaftlichen Ausbaus. Im Ergebnis müssen dann einige Anschlüsse mehr gefördert werden. Dies hat aber rein gar nichts mit dem viel schlimmeren Problem der Überförderung zu tun und dem zweiten Antrags-Tsunami, den vor allem zwei Länder ausgelöst haben, die den Glasfaserausbau nicht im Griff zu haben scheinen. Gerade jetzt braucht es eine viel bessere Priorisierung, ein neues Förderregime und die vom Minister versprochene Verzahnung von eigenwirtschaftlichem mit gefördertem Ausbau. Und auch der strategische Überbau durch die Telekom, der von Bundesregierung und Bundesnetzagentur weiterhin geduldet wird, führt zu einer massiven Verschlechterung der Investitionsmöglichkeiten gerade im ländlichen Bereich. So ist es nicht etwa die allgemeine (Finanz-)Marktlage, die die Ausbauziele der Bundesregierung gefährdet, sondern die Politik der Regierung selbst.

Strategischer Überbau ist die größte Gefahr für Deutschlands Glasfaserziel: regulatorische Schritte und klare politische Ansage sind dringend notwendig

So wird das nichts – und jede verantwortungsvolle Politikerin, jeder Politiker und jede Bürgermeisterin, jeder Bürgermeister weiß das. Wir haben Glück gehabt. Die Investoren haben – leider erst sehr spät – das enorme Potential erkannt, dass der Ausbau gerade des ländlichen Raumes bietet. Zwar ist der Ausbau verhältnismäßig teuer, aber wer mit geringen Margen auskommt und als erster baut, der konnte bei gebotener ökonomischer Vernunft davon ausgehen, dass dort, wo sich kaum ein Netz, aber sicher nicht zwei lohnen, andere Investoren lieber den Nachbarort aufgraben und sich dort die notwendigen Kunden sichern.

Das aktuelle WIK-Gutachten „Doppelausbau von Glasfaseranschlüssen – Ökonomische Analyse und rechtliche Einordnung“ bestätigt die intensiven Warnungen der Telekommunikationsbranche: Strategischer Überbau entzieht gerade in ländlichen Regionen dem eigenwirtschaftlichen Ausbau die wirtschaftliche Grundlage und führt dadurch zu massiven Verzögerungen und einem erhöhten Förderbedarf. Auf Basis des WIK-Gutachtens ist das wettbewerbs- und investitionsverdrängende Verhalten der Deutschen Telekom behördlich zu prüfen. Dabei sind die vom WIK aufgeworfenen Lösungs- und Überwachungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen, insbesondere auch ein Monitoring durch die Bundesnetzagentur. Darüber hinaus sind weitere Abhilfemaßnahmen von der Bundesnetzagentur zu prüfen. Der Spielraum der Marktregulierung muss in vollem Umfang ausgeschöpft werden, um die Glasfaserausbauziele der Bundesregierung abzusichern. Parlament und Bundesregierung können über gesetzliche Klarstellungen dazu beitragen, dass strategischer Überbau verhindert werden kann und der eigenwirtschaftliche Ausbau gestärkt wird. Der Bundesminister muss jetzt beweisen, dass er seine Ziele nicht vom marktmächtigen Unternehmen gefährden lassen will.